Triyanto Triwikromo: Das Wirrwarr der Verwandlung

Als Franz Kafka eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett in ein Rind verwandelt. Gewiss erschrak er, wälzte sich hin und her. Ihm wurde bewusst, dass er selbst – in der Gestalt eines Tierkörpers mit Buckel und Wamme – das Zimmer ausfüllte, was ihm kaum noch Raum für Bewegung ließ.

„Das ist bestimmt ein Traum. Es war doch Gregor Samsa gewesen, der sich in ein Ungeziefer, einen riesigen Mistkäfer verwandelt hatte. Nicht ich selbst. Und in ein Rind hätte ich mich bestimmt nicht verwandeln mögen“, murmelte Kafka, „Was wäre an einem Rind schon interessant?“

„Daran ist doch nichts Merkwürdiges“, sagte ein Tier mit aufgeblähtem Bauch, panzerartiger Rückenplatte und einer Vielzahl von Beinen, das ihm als der verwandelte Gregor Samsa vertraut war. Es krabbelte in Kafkas Ohr und flüsterte: „Ich habe mich in einen Mistkäfer verwandelt und niemand stört sich daran.“

„Doch merkwürdig: Wie würden die Leute wohl reagieren, wenn sie erführen, dass ein Mann jüdischer Herkunft, am 3.Juli 1883 in Prag geboren, von keinem Regime der Welt verfolgt, sich plötzlich in ein Buckelrind verwandelt hätte? Hat etwa die Bourgeoisie sich gegen mich verschworen und mein Denken derart beeinflusst, dass ich mich selbst als Rind sehe?“

„Oh“, sagte Gregor Samsa, seine Fühler flink hin und her bewegend, „denke nicht wie ein ängstlicher Dichter! Du hast Der Verschollene, Der Prozess, Das Schloss und Die Verwandlung geschrieben. Doch deine Werke bringen lediglich deine Angst zum Ausdruck. Angst, beiseite gedrängt zu werden. Angst, nicht genügend Raum zum Leben zu haben. Angst, zu sterben. Angst, als Dichter vergessen zu werden.“

Kafka fühlte sich verletzt, hörte Gregor Samsas Worten jedoch weiterhin zu.

„Denke wie ein Versicherungsangestellter! Nimm an, dass alle Menschen dumm sind, sich keine Gedanken machen, was Versicherungsagenten tun. Denn dann kannst du jeden überzeugen, obwohl du ein Rind geworden bist: Ich bin Kafka. Ein perfekter Schriftsteller. Bin nicht impotent und gebe immer das Beste für meine Leser.“

„Nichtsdestotrotz bin ich ein Rind, das Schwierigkeiten hat, aufrecht zu stehen“, erwiderte Kafka, „und du bist nur ein winziger Mistkäfer.“

Gregor Samsa schwieg. Er war nicht ansatzweise imstande, Kafka bei frostigen 2 Grad Celsius aus seinem Zimmer in der Heidestraße in Berlin-Zehlendorf herauszuziehen.

„Wäre ich doch nur ein riesiger Mistkäfer, dann könnte ich dich aus dem Zimmer zerren“, lamentierte Gregor Samsa. „Leider bin ich nur ein sehr kleines Tier. Dann brauche ich nur zu Gott zu beten, er möge dich in eine winzige Kuh verwandeln und mich in einen riesigen Mistkäfer.“

Kafka fühlte seinen widerwärtigen Buckel und versuchte erneut, aufzustehen, scheiterte aber. Er rief nach Dora, aber die Antwort seiner Geliebten stimmte ihn missmutig.

„Muhe doch nicht wie ein Rind, Liebling“, sagte Dora, „Schlaf wieder ein!“

Oh, sogar Dora hält mich für ein Rind, dachte Kafka. Wie beschämend, wenn sie dieses Tier mit Buckel, Wamme und dem Maul voller Speichel im Zimmer ihres Geliebten entdeckt. Ich muss sofort eine Strategie entwickeln, wie ich dieses Problem lösen kann. Und diesen Plan kann nur ein Rind ausführen. Weil allerdings nur Gregor Samsa meine Stimme hören kann, werde ich meine Bitte an diesen idiotischen reisenden Handelsvertreter richten.

„Gregor“, rief Kafka, „ich bin davon überzeugt, mich irgendwann in einen Menschen zurück zu verwandeln. Ist dies geschehen, bitte ich dich um Folgendes: Erstens, all meine handschriftlichen Werke zu retten. Zweitens, all meine bereits gedruckten und zu druckenden Werke einschließlich der Meditationen zu verbrennen. Es ist mein Wunsch, dass die Verehrer meiner Literatur durch das Lesen meiner Werke dümmer werden. Drittens  möchte ich dir mitteilen, dass Die Verwandlung wirklich ein Werk für den Müll ist. Lese sie niemals – am allerwenigsten, wenn du mit der Bahn fährst.“

Gregor, der noch in Kafkas Ohr saß, nickte. Er dachte, Kafka hätte sich eigentlich in eine Erbse verwandeln sollen oder in eine Erdnuss im Teigmantel. Wir könnten dann leicht auf die Straße rollen, wenn das von Kafka gemietete Haus in Flammen aufginge. Ich halte Erbsen und Erdnüsse bei weitem für mehr sexy als bucklige Tiere.

Zunehmend verwirrt durch diese Situation, die sich nicht sogleich wieder normalisierte, summte Gregor: „Deine Geschichte ist mir gleichgültig. Sollten wir nicht versuchen, den besten Weg zu finden, wieder Menschen zu werden?“

„Wieder Menschen zu werden?“, kicherte Kafka, „Glaubst du noch, dass die Menschen die edelsten Geschöpfe sind?“

„Gewiss“, entgegnete Gregor Samsa, der sich in seiner menschlichen Würde durch seine Tiergestalt erniedrigt fühlte.

„Du irrst dich, Gregor“, erklärte Kafka. „Vielleicht sind die Menschen sogar die verachtenswertesten Geschöpfe geworden und Gott hat uns deshalb in Tiere verwandelt.“

„Nun, wenn der Mensch schon als stinkendes Geschöpf betrachtet wird, warum verwandelst du dich nicht einfach in ein Nashorn und ich in einen Schmetterling?“

„Warum müssen es gerade ein Nashorn und ein Schmetterling sein?“

„Was stört dich denn an einem Nashorn und einem Schmetterling?“

„Glaubst du, dass ich, nachdem wir ein Nashorn und Schmetterling geworden sind, nach dem Aufwachen immer noch ein Nashorn sein werde und du ein Schmetterling? Oder glaubst du, dass wir morgen früh immer noch dasselbe Nashorn und derselbe Schmetterling sein werden? Ich denke, es ist sinnlos, jetzt zu diskutieren, was wir werden möchten? Adam hat auch nie gefragt, warum er Adam werden musste, warum der Wind der Wind wurde, der Nebel der Nebel und Jesus Jesus. Wir sollten uns lieber Gedanken machen, wie wir aus dieser misslichen Lage herauskommen.“

Franz Kafka und Gregeor Samsa verfielen in tiefes Nachdenken.

„Wie wäre es, wenn du deinem engen Freund Max Brod einen Brief schreibst, ob er uns aus dieser absurden Situation befreien kann?“

„Einen Brief schreiben? Rede kein dummes Zeug! In meinem Zustand kann ich unmöglich Briefe schreiben.“

Gregor Samsa war über Kafkas Antwort amüsiert. Er wunderte sich, warum er selbst noch sein menschliches Gehirn benutzte, obwohl er ein Mistkäfer geworden war. Aber er wollte nicht in ein verwirrendes Gedankenlabyrinth geraten. Deshalb ermunterte er Kafka, noch intensiver nachzudenken.

„Eigentlich ist es einfach, uns aus dieser absurden Situation zu befreien“, sagte Gregor. „Wir werden unsere Situation nicht als absurd empfinden, wenn wir alles, was uns passiert, für normal halten.“

„Wie meinst du das?“

„Du wirst meine Absicht verstehen, nachdem du einige Fragen beantwortet hast. Erstens, ist das Zimmer, in dem wir uns jetzt befinden, für dich der Himmel? Wenn ja, dann bedeutet es, dass wir uns daraus nicht befreien müssen. Wir akzeptieren unser Schicksal, ein Rind und ein Mistkäfer geworden zu sein. Zweitens, ist es dir wichtig, dass der Welt berichtet wird, dass Kafka noch lebt, von der Tuberkulose geheilt ist und lächerliche Geschichten über die Vertreibung der Juden schreibt? Wenn nicht, müssen wir niemanden darum bitten, ein Rind und einen Mistkäfer in Menschen zu verwandeln. Drittens, möchtest du noch immer der Welt erzählen, dass es Kafkas sehnlichster Wunsch ist, ein Kampfhund zu werden? Wenn nicht, lass uns einfach unser Leben in Ruhe in diesem Zimmer verbringen. Meditieren, bis wir alt werden. Bis niemand mehr unseren Zustand beachtet.“

Kafka bemühte sich, Gregor Samsas Fragen und Erkenntnisse zu interpretieren.

„Ich weiß keinerlei Antwort auf deine drei Fragen“, sagte Kafka. „Ich stelle mir gerade vor, wie unsere Körper allmählich auf die zehnfache Größe anwachsen, bis sie die Wände dieses Zimmers durchbrechen. Ich denke, das ist kein absurder Gedanke, denn ein Rind und ein Mistkäfer zu werden ist ja auch nicht absurd.“

„Durchbrechen?“, kicherte Gregor Samsa. „Durchbrechen ist das schönste Wort auf der Welt. Ja, wir werden die Zimmerwände auf mehrfache Weise durchbrechen.“

Kafka schwieg. Ihm war bewusst, dass er die Wand im Moment unmöglich durchbrechen konnte. Es war unvorstellbar schwer, sich mit diesem fetten Körper mit Buckel und Wamme überhaupt zu bewegen. Noch schwieriger sich hinzustellen. Fast unmöglich den Kopf zu bewegen, die Hörner gegen die Wand zu stoßen.

„Denkst du, dass ich dir nicht helfen kann? Denkst du etwa, dass eine Figur, die du geschaffen hast, nichts erreichen kann?“

Kafka nickte.

„Du hast wohl vergessen, dass ich ein reisender Handelsvertreter bin. Du hast vergessen, dass ein reisender Handelsvertreter einen Instinkt besitzt, zur rechten Zeit aufzustehen, sich eilig die Schuhe anzuziehen, wie ein verrückt gewordener Hund zu rennen, um den Zug noch zu erreichen und sich jederzeit durch die Zimmertür befreien kann.“

Kafka nickte, konnte aber immer noch nicht erraten, was Gregor Samsa vorhatte.

„Schließe die Augen, Kafka, und fühle, wie dunkel unsere Welt ist.“

Kafka schloss seine Augen. Er hatte seine Augen noch nicht lange geschlossen, da konnte er sich nicht mehr darauf konzentrieren, das Gefühl der Dunkelheit zu genießen, weil er einen stehenden Schmerz an seinem Ohr spürte.

„Gregor, Gregor“, rief Kafka. „Beiße mir nicht ins Ohr. Sofort raus aus meinem Ohr!“

Gregor Samsa kümmerte sich nicht darum. Er biss immer wieder in Kafkas Ohr. Biss, biss und biss, bis Kafka, dieses riesige Buckelrind mit Wamme, schnaubte, sich erhob, und um den Schmerz zu lindern, gegen die verschiedensten Gegenstände polterte.

Die Schreibsachen wurden verwüstet, die Bücher durcheinander geworfen. Das Bett zerbarst.

„Gregor“, schrie Kafka erneut. „hör auf zu beißen!“

Er erhielt keine Antwort. Gregor biss ihn so lange, bis es ihm schließlich gelang die Zimmerwände zu durchbrechen und ins Freie auf die Straße zu laufen. Da rief Dora Diamant: „Warum schnaubst du wie ein Rind, Liebling. Lass dieses absurde Geräusch!“

Aber Kafka hörte ihr Rufen nicht. Er hörte auch die Menschen auf der Straße nicht, die sagten: „Kafka, warum krabbelst du nachts auf der Straße herum?“

Nachdem er eine Zeitlang die Strommasten und die vorüberfahrenden Kutschen betrachtet hatte, sagte Kafka schließlich zu Gregor Samsa: „Es hat sich nicht gelohnt, das Haus zu verlassen. Lass uns zurück ins Zimmer gehen. Schlafen und morgen mit neuer Erfahrung, neuer Hoffnung aufwachen.“

„Neuer Hoffnung?“, fragte Gregor Samsa. „Du glaubst noch, dass wir neue Hoffnung schöpfen werden?“

Übersetzung von Gudrun Ingratubun aus dem noch unveröffentlichten Roman „Metamorkafka“ von Triyanto Triwikromo.

© Triyanto Triwikromo, Gudrun Ingratubun